TdV 2016 – Sapois – Oderen – Bramont – Hohneck

Mittwoch klingt nach der Mitte einer Woche. Für uns neigt sich die Vogesen-Woche leider mit großen Schritten dem Ende zu, vor allem, weil für den morgigen Tag Regen, Wind oder Gewitter, je nach Vorhersage-App, angesagt sind.

Um Viertel vor neun begrüßt mich Jens mit der Frage „Bin ich der Erste?“ und mir fällt auf, dass das tägliche Fahren ohne Ruhetag, ohne Küchenpersonal und ohne Helfer, die die Touren am Computer vor- und medial nachbereiten ziemlich anstrengend ist und alle länger schlafen lässt. Und Schlaf ist auf der heutigen Etappe auf alle Fälle von Vorteil. Es soll 2000hm auf 90 km weit gehen, davon drei Viertel der Höhenmeter auf der zweiten Streckenhälfte.

Inzwischen ist unsere kleine Gruppe von vier Gefährten einander so vertraut, dass Strecken- und Pausenplanung fast diskussionslos geschehen, es ist klar, wer was mitnimmt, so dass wir immer schneller aus dem Haus kommen.

Einmal im Jahr muss man über den Col de Sapois. Also fahren wir durch Gerardmèr zum Fuß des Col. Jeder versucht noch einmal, alles zu geben. Im kollektiven Gedächtnis gilt der Berg als „am Anfang anspruchsvoll mit kernigen Steigungsspitzen, danach halbwegs flach fahrbar. Kurzer Anstieg, kann fast durchgesprintet werden.“ Jetzt lernen wir, dass er 2000 Meter lang ist und nach zwei Rampen von 10% bzw. 12% einfach durchgehend 7,5% hat. Während Julius sein gelbes Trikot verteidigt, kämpfen Kurt, Jens und ich um Punkte oder Wertungen oder ähnlich irrationale Dinge. Kurt zieht davon und Jens hat gelernt, dass er nicht abreißen lassen darf. So quälen wir uns Meter um Meter nach oben und sind schnell wie nie zuvor.

Ein Grund, warum wir diesen Col so mögen, ist die 10 Kilometer lange Abfahrt. Während oben noch in die Pedalen getreten wird, lassen wir uns später einfach nur rollen und fangen erst wieder an zu treten, als es um uns herum dörflicher wird und es Autos gibt, auf die man reagieren muss.IMG_2426 In Vagney haben wir genug Autos gesehen und fahren auf den Radweg. Leider ist er etwas versteckt, sonst hätten wir ihn schon vor Jahren entdeckt. Auf einer alten Bahnstrecke mit bestem Asphalt können wir gut Strecke machen. Um den Rennrad-Fahrern nicht zu viel Freude zu schenken (und schlimme Unfälle zu verhindern) haben sie vor und hinter jeder Wegkreuzung (also ca. jeden Kilometer einmal) Holzabsperrungen installiert. Das führt zu den immer wiederkehrenden Durchsagen „Einerreihe – Einerreihe – frei – frei – frei“. Den Rest der Zeit fahren wir in einer Zweierreihe, ignorieren einfach den Gegenwind, unterhalten uns und genießen die Landschaft. Der Weg bringt uns teilweise über kleine Brückchen, teilweise in den Fels geschlagen unserem nächsten Anstieg näher. Da sich die Temperaturen nicht geändert haben, entschließen wir uns, den Radweg zu verlassen und in Saulxures-sur-Moselotte den Dorfbrunnen zu suchen, um unsere Flaschen aufzufüllen. Wir erkennen die Stelle wieder, wo wir letztes Jahr Pinkelpause gemacht haben, aber einen Brunnen finden wir nicht. Eigentlich finden wir gar nichts, was auf Leben hindeutet. Die Läden sehen geschlossen aus, kein Mensch zu sehen, nichtmal der Wind verirrt sich in dieses Dorf, nur die Sonne zeigt sich in voller Pracht und lässt den Asphalt flimmern. Wenn jetzt noch Tumbleweed über die Straße weht, dann könnten wir einen Fahrrad-Western drehen. Wir passieren das Ortsausgangsschild ohne einen Brunnen gefunden zu haben. Zum Glück kommt noch ein Ort vor dem Col de Oderen. In Ventron – sagt Julius – gibt es noch einen Brunnen. Den Brunnen finden wir auch am Dorfplatz, leider gibt er kein Wasser. Also setzen wir uns in die benachbarte Brasserie und bestellen Cola und Wasser. Während der Pause überlegen wir, ob wir uns Spitznamen geben sollten, es wird viel gelacht.

Der Col de Oderen mit seinen 200 Höhenmetern könnte, wenn sich die Wettervorhersage für morgen bewahrheitet, die letzte Bergwertung der TdV2016 werden. Also noch ein letztes Mal alles geben, die Beine brennen lassen und nicht vor dem Col-Schild aufgeben. Einer konzentriert sich so sehr, dass er den toten Fuchs noch einmal überfährt. Die Abfahrt ist ein wahrer Segen, in Serpentinen geht es zügig bergab. Im noch heißeren Tal beim Einrollen nach Kruth erscheint der warme Fahrtwind, als ob jemand einen Fön eingeschaltet hätte. Die Brasserie in Kruth, die in Google Street View erkennbar war, ist längst Geschichte, man kann nur noch erahnen, wo das Schild mal hing. IMG_2428Also weiter zum See von Kruth, wo wir Mittagspause machen wollen, um dann gestärkt die anstrengendere Hälfte der Etappe in Angriff zu nehmen. Leider ist inzwischen 15 Uhr und die Küche hat schon zu, aber bei den Temperaturen reicht uns auch ein Stück Kuchen, vor allem, wenn es leckerer Heidelbeer-Kuchen aus der Region mit frischer Sahne ist. Zwischen der Vitrine und unserem Tisch wird der Kuchen ein zweites mal gebacken. Julius und ich unterhalten uns über potentielle Touren und schöne und weniger schöne Pässe. „…Bagenelle…Planche des belle Filles… Cornimont… Ventron…Page…“ Für Kurt klingt das alles nicht ernstnehmbar. Also führt er auch den Col de Clochard ein. Mit 8hm auf 12km.

Im Schatten der Schirme erscheint mir der Rest der Etappe wegen der Hitze undurchführbar, was aber auch an der stehenden Luft liegt. Nachdem wir noch einmal das Thema Spitznamen ausgepackt und die Flaschen gefüllt haben, geht es weiter. Der Bramont liegt laut Julius im Schatten, in Wahrheit ist der Begriff Halbschatten wohl passender. Wir fahren entspannt als Gruppe, bis ein Radler vor uns wieder Kurts und Julius‘ Ehrgeiz weckt und sie ihre Trittfrequenz erhöhen. Nachdem diese Aufgabe bewältigt ist, hat sich eine Dreier-Gruppe gebildet, die trotz Tropenklimas und 5% Steigung noch Späße auf dem Rad macht. Als Kurt und Julius zum Zielsprint ansetzen, sehe ich über mir immer noch das Damoklesschwert des allerletzten Anstiegs. Also lasse ich mir Zeit und schone meine Kräfte.IMG_2440 Ein letztes Col-Schild-Foto lässt mich sentimental werden. War es das schon wieder? Adieu, TdV2016? Elfeinhalb Monate Vogesenpause? „One more thing…“, wie Steve Jobs gesagt hätte. Unsere Innovation hat als Anstieg keinen Namen, aber die Daten sprechen für sich: Untergrund unbekannt, eventuell merkwürdige Abzweige, der erste Kilometer mit 11%, dann einer mit 9%, in der Summe 360 Höhenmeter mit fast acht Prozent im Schnitt. Nach einer Runde wie der heutigen auf alle Fälle eine Herausforderung. Doch die Route ist besser befahrbar als befürchtet, hinter dem einzigen Abzweig, der uneindeutig ist, wird gewartet. IMG_2442IMG_2448Leider 200 Meter zu früh, denn dort, hinter der Kurve, wäre noch eine Gaststätte mit Draußen-Sitzen und Blick auf die Berge und die Ski-Lifte gewesen. Jetzt, wo wir fast oben sind, wird durchgefahren und wir freuen uns über den neuen Teer ab dem Hohneck. Eine lange Abfahrt mit 500 Höhenmetern entlockt uns die letzten Kräfte und mit Blick auf den See rollen wir mit Maximalpuls in Xonrupt ein.

Auch heute ernähren wir uns wie fast jeden Tag: Direkt nach der Etappe die Reste von gestern essen. Vier Stunden später wird dann gekocht für vier hungrige Mäuler, also etwas zu viel. Die Reste kann man dann am nächsten Tag direkt nach der Tour essen…

Nach dem Abendessen schauen wir voll Sorge auf den Wetterbericht von morgen, der sich in den letzten Tagen nicht geändert hat: Ein Mix aus Regen und Gewitter. Vielleicht Recovery- und Abreisetag in einem. Da wir spät gegessen haben, sitzen wir nur noch kurz zusammen, bevor die ersten ins Bett gehen.

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